28. August 2018 Geschmacksmusterrecht: EuGH zu ausschließlich technisch bedingten Erscheinungsmerkmalen eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters

In einem Urteil vom 8. März 2018 (Doceram, C-395/16) legte der Gerichtshof der Europäischen Union (nachfolgend EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens auf Vorlage des Oberlandesgerichts Düsseldorf Art. 8 Abs. 1 der Verordnung über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (nachfolgend GGV) aus, wonach ein Geschmacksmuster nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses besteht, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind.  

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Zunächst stellte der EuGH fest, dass der Ausdruck „Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind“ einen autonomen Begriff des Unionsrechts bezeichnet, der in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen ist. Unter Berücksichtigung des Wortlauts der Vorschrift befand der Gerichtshof, dass Art. 8 Abs. 1 GGV den durch diese Verordnung gewährten Schutz für den Fall ausschließt, dass das Bedürfnis, eine technische Funktion des betreffenden Erzeugnisses zu erfüllen, der einzige Faktor ist, der den Entwerfer dazu bewogen hat, sich für ein bestimmtes Erscheinungsmerkmal dieses Erzeugnisses zu entscheiden. Diese Auslegung sieht der EuGH auch durch den Sinn und Zweck der GGV gestützt, der darin besteht, ein in den einzelnen Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Gemeinschaftsgeschmacksmuster zu schaffen, das in einem alle Mitgliedstaaten umfassenden Gebiet geschützt ist, und zur Innovation und zur Entwicklung neuer Erzeugnisse sowie zu Investitionen für ihre Herstellung zu ermutigen, indem gewerblichen Geschmacksmustern ein verbesserter Schutz gewährt wird. Art. 8 Abs. 1 GGV in Verbindung mit deren zehntem Erwägungsgrund bezwecken es zu verhindern, dass technologische Innovationen dadurch behindert werden, dass Erscheinungsmerkmale geschützt werden, die ausschließlich durch die technische Funktion eines Erzeugnisses bedingt sind. Der Gerichtshof kommt letztlich zu dem Ergebnis, dass Art. 8 Abs. 1 der GGV den geschmacksmusterrechtlichen Schutz für Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließt, wenn deren technische Funktion der einzige diese Merkmale bestimmende Faktor ist und insbesondere mit der visuellen Erscheinung zusammenhängende Faktoren bei der Entscheidung für diese Merkmale keine Rolle gespielt haben. Das Bestehen alternativer Geschmacksmuster ist insoweit nicht ausschlaggebend.

Ob diese Voraussetzung im konkreten Fall erfüllt ist, müssen die zuständigen nationalen Gerichte unter Berücksichtigung aller objektiven maßgeblichen Umstände des Einzelfalls würdigen. Zu beachten nach Auffassung des EuGH sind insbesondere das fragliche Geschmacksmuster, die objektiven Umstände, aus denen die Motive für die Wahl der Erscheinungsmerkmale des betreffenden Erzeugnisses deutlich werden, Informationen über dessen Verwendung oder auch das Bestehen alternativer Geschmacksmuster, mit denen sich dieselbe technische Funktion erfüllen lässt, soweit für diese Umstände, Informationen oder Alternativen tragfähige Beweise vorliegen. Auf die Sicht eines „objektiven Beobachters“ kommt es nach Ansicht des EuGH hingegen nicht an.

Fazit:


Dieses Urteil des EuGH ist von großer Bedeutung für das Designrecht und verschafft Klarheit darüber, wann die Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses als ausschließlich technisch bedingt anzusehen sind. Die Entscheidung trägt zu mehr Rechtssicherheit bei und ist auch deshalb begrüßenswert, weil der EuGH darin klargestellt hat, wie der Ausschlussgrund des Art. 8 Abs. 1 GGV festzustellen ist und welche Umstände dabei zu berücksichtigen sind. Nun ist auch geklärt, dass es dabei nicht ausschließlich auf die dem Register zu entnehmende Wiedergabe des jeweiligen Geschmacksmusters ankommt. Der EuGH hat dagegen festgelegt, dass es auch auf außerhalb des Registers liegende Umstände, wie etwa Informationen über die Verwendung des Geschmacksmusters oder aber alternative Geschmacksmuster ankommt, die eventuell andere, nicht ausschließlich technisch bedingte Faktoren aufweisen und als Auslegungshilfe in Bezug auf das streitgegenständliche Design gelten können. Hingegen werden sich die Inhaber von Geschmacksmustern, die auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 GGV angegriffen werden, zukünftig nicht mehr durch den einfachen Hinweis auf alternative Geschmacksmuster verteidigen können, da der EuGH ausdrücklich festgestellt hat, dass allein das Bestehen alternativer Geschmacksmuster an sich nicht belegt, dass das jeweilige Erscheinungsmerkmal nicht ausschließlich technisch bedingt ist. Es ist zu erwarten, dass insoweit Sachverständigengutachten verstärkt zum Einsatz kommen werden. 

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